Blogarchiv

24.12.2020

Frohe, lichtvolle Weihnachten!

"Wo ist, der nun geboren ist als König der Juden? (Mt 2,2). Beachtet nun bei dieser Geburt, wo sie geschehe: Wo ist, der geboren ist? Ich sage aber, dass diese Geburt in der Seele geschieht ganz in der Weise, wie sie in der Ewigkeit geschieht; denn es ist eine einzige Geburt, und diese Geburt geschieht in der Seele [...] Warte nur auf diese Geburt in dir, so findest du alles Gute und allen Trost, alle Wonne, alles Sein und alle Wahrheit."

(Meister Eckhart, Predigt 58)
28.10.2020

Gastfreundschaft als Schlüssel für die Zukunft des Christentums

In seinem Buch "Christentum als Stil" (2018) beschreibt der deutsch-französische Theologe Christoph Theobald den Stil Jesu als Gastfreundschaft und bedingungslose Bereitschaft, Leute zu empfangen. Im Neuen Testament sei die Gastfreundschaft ein zentrales Thema. Ein sehr empfehlenswertes, wenn auch nicht ganz leicht zu lesendes Buch in der Tradition der "Pastorale d'engendrement".

Vor allem das Lukasevangelium hat Christoph Theobald zur Überzeugung geführt, dass der Schlüssel zur Zukunft in der Gastfreundschaft liegt, wie sie Jesus vorgemacht hat: "Wir sehen Jesus als Wanderer, der um Gastfreundschaft bittet, aber gleichzeitig auch seine eigene anbietet. Häufig übt er seinen Dienst im Rahmen einer Mahlzeit aus: Er isst mit den Armen, Zöllnern, Prostituierten und wird als Trunkenbold und Vielfrass beschimpft. Er überschreitet die Grenze zwischen Reinem und Unreinem. Er zeigt auf sehr konkrete Weise seine barmherzige, bedingungslose Gastfreundschaft."
 
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02.10.2020

Buchempfehlung

Der Bestseller des oberschwäbischen Kirchenhistorikers ist absolut empfehlenswert! Hubert Wolf schildert in seinem neuesten Buch den Weg Pius' IX. zum mächtigsten und am längsten amtierenden Papst der Geschichte (1846 - 1878), der den Katholizismus neu erfand. Das fesselnd und anschaulich geschriebene Buch ist eine kalte Dusche für alle, die im Papst den Repräsentanten uralter Traditionen sehen. 

Hubert Wolf beschreibt, wie der Katholizismus im Namen erfundener Traditionen ganz auf Rom ausgerichtet wurde. Im Bewusstsein eigener Machtvollkommenheit verkündete Pius IX. das Dogma von der Unbefleckten Empfängnis Mariens, schottete die Kirche mit dem «Syllabus errorum» von Demokratie und Moderne ab und ließ sich auf dem Ersten Vatikanischen Konzil für unfehlbar erklären. Traditionalistischen Kritikern beschied er kühl: «La tradizione sono io», die Tradition bin ich! Das Buch macht eindrucksvoll deutlich, wie seither alles mit dem Papst steht - und mit ihm fällt.  

27.09.2020

Impuls zum Wochenstart - Interspirituelle Mystik

Vertiefen wir das, was Gott zu Mose gesagt hat: „Ich bin der ‘ich bin da’“ (Exodus 3,4). Gott ist eindeutig nicht an einen Namen gebunden, sondern ist absolute Präsenz. Er ist wie Augustinus sagt "innerlicher als wir uns selbst." 
Gott scheint auch nicht zu wollen, dass wir die Göttlichkeit an einen Namen binden. Deshalb wurde im Judentum Gottes Aussage Mose gegenüber zu Gottes unaussprechlicher Identität. Einige sagen sogar, dass der Name Gottes buchstäblich nicht „gesprochen“, sondern nur geatmet werden kann.[1] 

Manchmal wünschte ich, wir hätten so weitergemacht. Allein diese Tradition sollte uns sagen, dass wir tiefe Demut gegenüber Gott üben sollen, der uns keinen Namen gibt, sondern nur reine Präsenz, keinen Begriff, der uns glauben lässt, wir „wissen“, wer Gott ist oder das Göttliche als unseren privaten Besitz wähnen.

Auch Christus ist immer «semper maior», grösser als jede andere Ära, Kultur, jedes Reich oder jede Religion, jede Konfession. Seine radikale Inklusivität ist eine Bedrohung für jede Machtstruktur und jede Form von arrogantem Denken, von Klerikalismus und Ideologie. Jedoch: Christus wurde in den ersten zweitausend Jahren von Kultur, Nationalismus und der eigenen kulturellen Gefangenschaft des westlichen Christentums für eine weisse, bürgerliche und eurozentrische Weltanschauung gefangen genommen. Wir haben oft die Art und Weise übersehen, wie Jesus sich offenbart, weil „unter uns einer stand, den wir nicht erkannten“ (Johannes 1,26). Er kam in mitteltöniger Haut, aus der Unterschicht, einem männlichen Körper mit einer weiblichen Seele, und lebte an der Schwelle zwischen Ost und West. Niemand besitzt ihn und niemand wird es jemals tun.

Jesus sagt klar, dass es nicht vorrangig ist, Gott richtig zu benennen: „Glaube nicht denen, die ‘Herr, Herr' sagen“ (Lukas 6,46). Es geht um richtiges Handeln (Othopraxie), nicht um das richtige Sagen. Die verbale Orthodoxie war jedoch das Hauptanliegen des Christentums und erlaubte ihm zeitweise sogar, Menschen auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen, weil sie es nicht „richtig gesagt“ hatten. Am Ende verbreiteten wir nationale Kulturen anstelle einer universal befreienden Botschaft. Was ich eine inkarnatorische Weltanschauung nenne, ist die tiefe Anerkennung der Gegenwart des Göttlichen in buchstäblich „allem“ und „jedem“. Denken wir immer daran: Alle sind Kinder Gottes! Nicht nur die Katholiken und Reformierten, sondern auch die Halbgläubigen, Atheisten und Apatheisten...

Ich würde sogar sagen, dass der Beweis, dass Sie ein reifer Christ sind, darin besteht, dass Sie Christus überall, in jedem anderen sehen können. Authentische Gotteserfahrung erweitert immer Ihr Sehen und schränkt es niemals ein. Was wäre Gott sonst noch wert? In Gott schliesst du nicht immer weniger ein; du siehst und liebst immer mehr. Und von diesem Ort aus verlieren wir jegliche Angst, mit Menschen anderer Glaubensrichtungen in Diskussion, Gebet und Freundschaft zu treten.

Referenzen:
[1] Richard Rohr, The Naked Now (Crossroad Publishing: 2009), 25-26. In fact, the holy name YHWH is most appropriately breathed rather than spoken, and we all breathe the same way.Adapted from Richard Rohr, The Universal Christ: How a Forgotten Reality Can Change Everything We See, Hope For, and Believe (Convergent: 2019), 17-18, 33, 35. 

Der Text ist entnommen von Richard Rohr, mit einigen wenigen Ergänzungen,
vgl. https://cac.org/an-unspeakable-name-2020-09-21/?utm_source=cm&utm_medium=email&utm_campaign=dm&utm_content=summary
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22.03.2020

Impuls zum Wochenstart: Gott rächt sich nicht an seinen Geschöpfen

Im Sonntagsevangelium (Joh 9,1-41) heisst es zu Beginn: 
"In jener Zeit sah Jesus unterwegs einen Mann, der seit seiner Geburt blind war. Da fragten ihn seine Jünger: Rabbi, wer hat gesündigt? Er selbst oder seine Eltern, sodass er blind geboren wurde?
Jesus antwortete: Weder er noch seine Eltern haben gesündigt, sondern die Werke Gottes sollen an ihm offenbar werden. Wir müssen, solange es Tag ist, die Werke dessen vollbringen, der mich gesandt hat; es kommt die Nacht, in der niemand mehr wirken kann. Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt."
Was bedeutet das? Wir folgen der Auslegung durch den Theologen Eugen Biser (1918-2014):

Ganz am Anfang der Geschichte werfen die Jünger die Frage auf: "Meister, wer hat in diesem Fall gesündigt? Dieser Blinde selbst oder seine Eltern?" Es ist also die Vorstellung, dass alles Unglück in der Welt ein direkt oder indirekt selbst verschuldetes ist. Überall, wo ein Mensch in Not kommt, muss nach dieser Vorstellung zurückgefragt werden, nach dem, was er an Schuld auf sich geladen hat; denn alles Leid dieser Welt ist Strafe. Das ist die Mentalität, mit der wir uns auseinandersetzen müssen.

Dieser allgemein herrschenden und selbstverständlich auch heute noch lebendigen Mentalität widerspricht Jesus mit dem befreienden Wort: "Hier hat weder der Blinde gesündigt noch seine Eltern..." Das Unglück ist keineswegs in jedem Fall selbstverschuldet und in keinem Fall eine Strafe Gottes. Wer sich in diese Meinung verstrickt, der ist im Sinne Jesu blind, der lebt in der Finsternis. 

Wir sollten das sehr ernst nehmen; denn eine tief eingewurzelte Meinung geht davon aus, dass überall dort, wo Leid vorkommt, nach irgendeinem Verschulden zurückgefragt werden müsse, weil alles Unglück Strafe Gottes sei. Jesus aber verkündet einen Gott, der sich nicht an seinen Geschöpfen rächt. Seine Botschaft ist eine Botschaft, die uns über diese Strafmentalität hinausträgt, und die von Gott grösser denkt, als es der aufrechnenden Denkweise der meisten entspricht. Es ist jener Gott, von dem wir in der Bergpredigt hören, dass er gütig ist selbst gegen die Undankbaren und Bösen.
 
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